
Interview mit Dipl.-Ing. Martin Friedrich
(DI Friedrich leitet die Abteilung für Kapitalmarktanalyse. Er ist Partner von HQ Trust, Mitglied des Investmentkomitees und stellvertretender Chief Investment Officer.)
Die Europäische Union hat sich seit Ihrer Gründung gewaltig verändert. Ich denke das ist normal, weil sich auch die Anforderungen an Europas Volkswirtschaften, an den gesamten europäischen Wirtschaftsraum verändert haben. Doch seit dem Beginn der Schulden- und Bankenkrise (beides wird sehr gerne unter dem Wort „Finanzkrise“ zusammengefasst), scheint es, dass die Europäische Union nur noch reagiert, um primär die Währungsunion zu retten. Ist der Preis, den wir unter dem Strich für diese Rettung bezahlen nicht zu hoch?
Ich bin mir nicht 100 prozentig sicher, ob ich mit Ihrer Prämisse, dass es sich hier primär nur um ein „Reagieren“ der Europäischen Union handelt, einverstanden bin. Es handelt sich hier um ein sehr komplexes System souveräner Staaten, die immer noch zueinander finden müssen. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld: Einerseits, weil sie multilaterale Verhandlungen führen; andererseits, weil sie gleichzeitig ihre staatliche Souveränität wahren müssen und auch immer Rücksprache mit ihren nationalen Parlamenten halten müssen. Dieser schwierige, komplexe Prozess ist auch anfällig für verschiedenste Unfälle, wie wir gesehen haben…
… welche Unfälle meinen Sie konkret?
Dass man das Gesetz der unbeabsichtigten Konsequenzen immer wieder außer Acht lässt: Die Auswirkungen von Beschlüssen werden nicht ausreichend verstanden. Zumindest zum Zeitpunkt der Beschlussfassung. Teile der politischen Elite besitzt zu wenig Kapitalmarkterfahrung. Gleichzeitig wissen wir aber, dass der Kapitalmarkt immer wieder ein disziplinierendes Element dieser Krise gewesen ist und so auch entsprechende Entscheidungen herbeigeführt hat. Wir haben in den USA im Jahr 2008 Ähnliches beobachte: Der Gesetzesentwurf für das so wichtige TARP-Programm ist zunächst vom Kongress abgelehnt worden. Erst als der S&P 500 nochmals hundert Punkte verloren und die Lage der Banken sich weiter verschlimmert hatte, wurde das Gesetz verabschiedet.
Zurück zur ursprünglichen Frage: Ist der Preis, den wir unter dem Strich für die Rettung der Währungsunion bezahlen zu hoch?
Es wurde bereits versucht, eine Alternative zum eingeschlagenen Kurs zu quantifizieren. Das Ergebnis: Jeder anderer Lösungsansatz wäre erheblich teurer – gerade für das Geberland Deutschland. Schätzungen sprechen von einem Faktor „3“ bis „4“. Insofern hat Deutschland auch einen Anreiz, hier zu helfen, möchte aber sicherstellen, dass das in der richtigen Form passiert und nicht die falschen Signale an die „Empfängerländer“ gesendet werden. Was im Fall eines unkontrollierten Auseinanderbrechens der Euros passieren würde, ist mit Sicherheit eine Alternative, die sich niemand wünscht.
Das bedeutet konkret? Was würde auf uns zukommen?
Vergessen wir nicht: Die Einführung des Euro hat einen gewaltigen volkswirtschaftlichen Umstellungsprozess mit sich gebracht. Während der ersten Jahre hatten wir viel zu niedrige Realzinsen in Südeuropa. Das hat zu einem Anstieg der Privatverschuldung geführt, als dann diese Immobilienblase (z.B. in Spanien) zerplatzt ist, mussten Bankenrettungspakete geschnürt werden, die die Staatsverschuldung explodieren ließen.
Im Juni letzten Jahres sind wir bereits vor dem Abgrund gestanden. Damals wusste niemand, wie die Wahl in Griechenland ausgeht. Wo würde Europa heute stehen, wenn die Syriza-Partei unter Alexis Tsipras gewonnen hätte?
Es gibt im Prinzip Überlegungen, die besagen: Wenn ein Land seine Staatschulden im nationalen Recht ausgegeben hat und dann aus dem Euro austritt, ist es durchaus möglich diese Staatsschulden in die neue lokale Währung zu redenominieren, die dann natürlich abgewertet werden würde. Solange Banken diesen Anleihen kein dementsprechendes Eigenkapital entgegenhalten, wäre die logische Folge eine unvorstellbare Pleitenserie. Zudem müssten wir mit zig-tausenden Gerichtsverfahren zwischen privaten Gläubigern (die alle Verträge in Euro abgeschlossen haben) rechnen, deren Ausgang völlig unklar bzw. nicht vorhersehbar ist.
Am Ende steht eine Art Lähmung, ein Schock, der um ein vielfaches größer wäre als die Lehmann-Krise. Das kann sich niemand wünschen. Und deswegen glauben wir auch nicht, dass es dazu kommt.
In ein paar Jahren kann es aber durchaus zu einem geordneten Euroaustritt eines Landes kommen. Allerdings müssten bis dahin noch einige Hausaufgaben gemacht werden, somit ist ein solcher Austritt nichts, das wir in den nächsten Wochen oder Monaten erwarten können.

Martin Friedrich im Gespräch mit Raoul Kirschbichler
Haben wir die Talsohle der Finanzkrise schon durchschritten?
Ja und nein. Manche Entscheidungen der letzten Jahre haben die Krise unnötig verschärft. Aber daraus haben sogar unsere Politiker gelernt. Damit meine ich primär die übertrieben harte Sparpolitik, die in manchen Fällen völlig falsch und kontraproduktiv war. Begonnen hat es mit einer Fehleinschätzung der grundlegenden Problematik. Der Vorteil der USA war, mit Ben Shalom Bernanke einen echten Spezialisten für die Rezession der 30-iger Jahre an der Spitze der Zentralbank zu haben. Die EZB spielt erst seit Mario Draghi eine halbwegs konstruktive Rolle. Wenn vor allem der private Sektor, wie in Spanien oder Italien, verschuldet ist, dann können sie nicht im Zentrum einer Wirtschaftskrise den Staat auch noch zum Sparen zwingen!
Stellen wir uns den Staat als Bauernhof vor: Der Bauernhof hat einen privaten Sektor – den Bauer und seine Familie – und eine Regierung, das ist der Alt-Bauer, der nicht mehr arbeitet, sondern nur noch konsumiert. Einmal pro Woche findet ein Markt statt, auf dem der Bauer seine Ware verkaufen bzw. exportieren kann. Wenn nun der private Sektor so sehr verschuldet ist, dass er seinen Konsum drastisch einschränken muss, dann gibt es nur noch die Möglichkeit, dass der Alt-Bauer mehr konsumiert bzw. dass mehr exportiert wird, oder – sollte beides nicht möglich sein – dann muss die Wirtschaftsleistung des Bauernhofes schrumpfen. Entweder indem die Produktion zurückgeht, oder die Preise drastisch fallen. Das Ergebnis muss eine deflationäre Spirale sein.
Das haben inzwischen auch die Politiker in Europa gelernt, auf die harte Art und Weise. Sofern wir versuchen, mehr als etwa ein bzw. eineinhalb Prozent als Fiskalkonsolidierung durchzusetzen, strebt der Fiskalmultiplikator gegen eins und führt die Sparmaßnahmen dadurch ad absurdum. Das hat man zu wenig bedacht.
Die Reaktion war – und damit hat man auch bereits begonnen – nicht mehr auf die Primär-Bilanzdefizite per se abzustellen, sondern dass wir jetzt von strukturell adjustieren Primär-Bilanzdefiziten sprechen. Das heißt, die Einmal-Effekte der Krise werden isoliert. Und dann versuchen wir darzulegen, wie eine Primärbilanz in einem „normalen“ Umfeld aussieht. Das ist der richtige Weg, wie dieses Thema behandelt werden muss.
Der Internationale Währungsfond schätzt z. B., dass Südeuropa heute bereits einen zyklisch adjustierten Primärbilanzüberschuss von etwa 3 Prozent aufweist. So gesehen ist viel geschehen, was aber bleibt – und in diesem Zusammenhang können auch noch mehrere Unfälle passieren – die Einmal-Effekte der Krise müssen aufgeräumt werden. Im Zuge dessen kann auch ein einmaliger Fiskaltransfer von Deutschland nach Südeuropa Sinn machen. Und das hat auch die Regierung Merkel verstanden. Das hat man dem Wähler allerdings nicht kommuniziert. Davor, so glaube ich, hat man Angst …
… dabei handelt es sich um eine Abkehr vom ursprünglichen Kurs der Regierung Merkel.
Durchaus. Und dieser Kurswandel hat in Wahrheit bereits stattgefunden, als man die Wahl von Axel Weber zum Nachfolger von Jean-Claude Trichet verhindert hat und Mario Draghi die EZP übernommen hat.
Vielleicht wird der neue Kurs dem deutschen Wähler deutlicher kommuniziert, sobald die Bundestagswahl vorbei ist.
Das wäre unsere Erwartung.

Dipl.-Ing. Martin Friedrich zum Thema “Unsicherheit – Risiko oder Chance” (Hayek-Saal am 10. April 2013).
Hat nicht auch die Wahl von Françoise Hollande zum französischen Präsidenten den Kurs der Merkel-Regierung aufgeweicht? Seit seinem Amtsantritt ist der restriktive Sparkurs, den Merkel Europa verordnet nicht ohne Widerspruch geblieben. Frankreich möchte einfach mehr Geld in die Hand nehmen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Es ist sicherlich so, – das haben wir auch bei den Problemen des Europäischen Währungsmechanismus Anfang der 90-iger Jahre gesehen, dass Deutschland traditioneller Weise immer dann zum Einlenken bereit ist, wenn sein über Jahrhunderte geliebter Rivale in gröberen Schwierigkeiten steckt. Und wenn wir bedenken, dass sich die Krise in Frankreich gerade wieder weiter verschärft, dürfen wir erwarten, dass Deutschland auch auf anderen Ebenen einzulenken bereit ist.
Zurück bleibt aus europäischer Sicht der Eindruck, dass Merkel und Schäuble in Brüssel die Sparpläne der Krisenländer diktieren.
Das ist eine Wahrnehmung in Teilen Europas, auch wenn die wirtschaftspolitischen Entscheidungen sind nicht immer so gemeint sind. Dennoch: Deutschland hat in der Vergangenheit mit manchen Forderungen durchaus den Bogen überspannt.
Dabei sollte es Deutschland besser wissen, wenn wir uns an die Verhandlungen von Versailles zurückerinnern, an die Reparationszahlungen, die Deutschland auferlegt wurden und zum völligen wirtschaftlichen Ruin geführt haben. Ich wage es ja hier kaum auszusprechen: Aber kein anderer als John Maynard Keynes hat damals die amerikanische und die englische Regierung vor diesen drastischen Auflagen gewarnt und sich – ohne Erfolg – dagegen ausgesprochen. Als die Arbeitslosenzahlen in Deutschland anstiegen, nahmen auch die Stimmengewinne der NSDAP zu.
Mit einem harten wirtschaftlichen Sparkurs ist demnach immer ein sehr hohes politisches Risiko verbunden. Es besteht darin, dass Parteien an die Macht kommen, mit denen wir lieber nicht verhandeln (sollten). Das sind Risiken, die man gerne unterschätzt, mittlerweile aber besser verstanden werden. Und genau deshalb ist unsere Prognose für Europa am Ende durchaus positiv.
Auch für Deutschland ist es letztendlich eine Kosten-Nutzen–Rechnung. Wenn Deutschland den wirtschaftlichen Niedergang Südeuropas zulässt, gehen deutschen Unternehmen viele Exportmärkte verloren. Das ist nicht im Interesse Deutschlands, deswegen hat Deutschland auch ein gewisses Interesse zu zahlen, Südeuropa zu retten.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die dringend notwendigen Strukturreformen in Südeuropa tatsächlich durchgeführt werden. Italiens wird im „Ease of Doing Business Index“der OECD nur an 73. Stelle geführt erschreckend.
Das freie Unternehmertum kann oftmals gar nicht innovativ bzw. gewinnorientiert arbeiten, weil die italienischen Gerichte sehr ineffizient sind: Notwendige personelle Einsparungen oder auch Rechtsstreitigkeiten gehen sehr langatmige und mühsame Wege. Im Bericht des IWF zur Wettbewerbsfähigkeit liegt es in Kategorien wie „Effizienz des Rechtssystems“ und „Behinderung durch Überregulierung“ ganz hinten unter 144 Ländern – nahe an Serbien, Venezuela oder Zimbabwe.
Wird es parallel dazu notwendig sein, die Europäische Union auf stärkere politische Beine zu stellen, um eine ähnliche Krise künftig verhindern zu können?
Die notwendigen politischen Institutionen existieren bereits. Doch die Zusammenarbeit muss effizienter werden. Gleichzeitig müssen die krisenbezogenen Auswirkungen verarbeitet werden. Bei so einem komplexen System, kann immer wieder etwas schiefgehen. Schaffen wir es, dann ist die EU stärker als zuvor.
Vor allem wenn Sie über die Grenzen Europas hinausblicken: In den USA und in Japan wird derzeit nicht einmal versucht die strukturellen Probleme zu lösen. In diesem Punkt könnte Europa den beiden Wirtschaftsmächten schon bald einen wesentlichen Schritt voraus sein. Europa könnte von einem wirtschaftlichen Heilungsprozess profitieren, während man in Japan und in den USA noch nach Lösungen sucht. Die Welt könnte also in 5 bis 10 Jahren völlig anders aussehen.
Wo steht die Europäische Union in 10 Jahren?
Ich sehe ein 70 prozentige Chance, dass die Krise einen positiven Ausgang nimmt und, dass die Europäische Union gestärkt und mit einer höheren Wettbewerbsfähigkeit aus der Krise hervorgeht. Auch wenn das heute schwer vorstellbar ist.
Ich glaube, dass eine volle Fiskalunion unwahrscheinlich ist, weil der politische Wille dazu fehlt und es auch demokratisch nicht durchsetzbar ist; trotzdem benötigen wir dringend einen Bankenrettungsmechanismus. Wann er eingeführt werden soll – darüber wird gerade verhandelt. Als Vorbild gilt die amerikanische FDIC („Federal Deposit Insurance Cooperation“).
Wann geht es wirklich wieder bergauf in Europa?
Wir glauben, dass auf der Basis der Entwicklung von Aktienmärkten wie auch Geldmengen-aggregaten, die wir beobachten, in der zweiten Jahreshälfte mit einer leichten Konjunkturerholung zu rechnen sein wird, wenn es keine unerwarteten Zwischenfälle mehr gibt. Das ist durch historische Korrelationen gut belegbar.
Vielen Dank für das Gespräch
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April 25th, 2013
„Die EU wird gestärkt aus der Krise hervorgehen“
Interview mit Dipl.-Ing. Martin Friedrich (DI Friedrich leitet die […]
Interview mit Dipl.-Ing. Martin Friedrich
(DI Friedrich leitet die Abteilung für Kapitalmarktanalyse. Er ist Partner von HQ Trust, Mitglied des Investmentkomitees und stellvertretender Chief Investment Officer.)
Die Europäische Union hat sich seit Ihrer Gründung gewaltig verändert. Ich denke das ist normal, weil sich auch die Anforderungen an Europas Volkswirtschaften, an den gesamten europäischen Wirtschaftsraum verändert haben. Doch seit dem Beginn der Schulden- und Bankenkrise (beides wird sehr gerne unter dem Wort „Finanzkrise“ zusammengefasst), scheint es, dass die Europäische Union nur noch reagiert, um primär die Währungsunion zu retten. Ist der Preis, den wir unter dem Strich für diese Rettung bezahlen nicht zu hoch?
Ich bin mir nicht 100 prozentig sicher, ob ich mit Ihrer Prämisse, dass es sich hier primär nur um ein „Reagieren“ der Europäischen Union handelt, einverstanden bin. Es handelt sich hier um ein sehr komplexes System souveräner Staaten, die immer noch zueinander finden müssen. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld: Einerseits, weil sie multilaterale Verhandlungen führen; andererseits, weil sie gleichzeitig ihre staatliche Souveränität wahren müssen und auch immer Rücksprache mit ihren nationalen Parlamenten halten müssen. Dieser schwierige, komplexe Prozess ist auch anfällig für verschiedenste Unfälle, wie wir gesehen haben…
… welche Unfälle meinen Sie konkret?
Dass man das Gesetz der unbeabsichtigten Konsequenzen immer wieder außer Acht lässt: Die Auswirkungen von Beschlüssen werden nicht ausreichend verstanden. Zumindest zum Zeitpunkt der Beschlussfassung. Teile der politischen Elite besitzt zu wenig Kapitalmarkterfahrung. Gleichzeitig wissen wir aber, dass der Kapitalmarkt immer wieder ein disziplinierendes Element dieser Krise gewesen ist und so auch entsprechende Entscheidungen herbeigeführt hat. Wir haben in den USA im Jahr 2008 Ähnliches beobachte: Der Gesetzesentwurf für das so wichtige TARP-Programm ist zunächst vom Kongress abgelehnt worden. Erst als der S&P 500 nochmals hundert Punkte verloren und die Lage der Banken sich weiter verschlimmert hatte, wurde das Gesetz verabschiedet.
Zurück zur ursprünglichen Frage: Ist der Preis, den wir unter dem Strich für die Rettung der Währungsunion bezahlen zu hoch?
Es wurde bereits versucht, eine Alternative zum eingeschlagenen Kurs zu quantifizieren. Das Ergebnis: Jeder anderer Lösungsansatz wäre erheblich teurer – gerade für das Geberland Deutschland. Schätzungen sprechen von einem Faktor „3“ bis „4“. Insofern hat Deutschland auch einen Anreiz, hier zu helfen, möchte aber sicherstellen, dass das in der richtigen Form passiert und nicht die falschen Signale an die „Empfängerländer“ gesendet werden. Was im Fall eines unkontrollierten Auseinanderbrechens der Euros passieren würde, ist mit Sicherheit eine Alternative, die sich niemand wünscht.
Das bedeutet konkret? Was würde auf uns zukommen?
Vergessen wir nicht: Die Einführung des Euro hat einen gewaltigen volkswirtschaftlichen Umstellungsprozess mit sich gebracht. Während der ersten Jahre hatten wir viel zu niedrige Realzinsen in Südeuropa. Das hat zu einem Anstieg der Privatverschuldung geführt, als dann diese Immobilienblase (z.B. in Spanien) zerplatzt ist, mussten Bankenrettungspakete geschnürt werden, die die Staatsverschuldung explodieren ließen.
Im Juni letzten Jahres sind wir bereits vor dem Abgrund gestanden. Damals wusste niemand, wie die Wahl in Griechenland ausgeht. Wo würde Europa heute stehen, wenn die Syriza-Partei unter Alexis Tsipras gewonnen hätte?
Es gibt im Prinzip Überlegungen, die besagen: Wenn ein Land seine Staatschulden im nationalen Recht ausgegeben hat und dann aus dem Euro austritt, ist es durchaus möglich diese Staatsschulden in die neue lokale Währung zu redenominieren, die dann natürlich abgewertet werden würde. Solange Banken diesen Anleihen kein dementsprechendes Eigenkapital entgegenhalten, wäre die logische Folge eine unvorstellbare Pleitenserie. Zudem müssten wir mit zig-tausenden Gerichtsverfahren zwischen privaten Gläubigern (die alle Verträge in Euro abgeschlossen haben) rechnen, deren Ausgang völlig unklar bzw. nicht vorhersehbar ist.
Am Ende steht eine Art Lähmung, ein Schock, der um ein vielfaches größer wäre als die Lehmann-Krise. Das kann sich niemand wünschen. Und deswegen glauben wir auch nicht, dass es dazu kommt.
In ein paar Jahren kann es aber durchaus zu einem geordneten Euroaustritt eines Landes kommen. Allerdings müssten bis dahin noch einige Hausaufgaben gemacht werden, somit ist ein solcher Austritt nichts, das wir in den nächsten Wochen oder Monaten erwarten können.
Martin Friedrich im Gespräch mit Raoul Kirschbichler
Haben wir die Talsohle der Finanzkrise schon durchschritten?
Ja und nein. Manche Entscheidungen der letzten Jahre haben die Krise unnötig verschärft. Aber daraus haben sogar unsere Politiker gelernt. Damit meine ich primär die übertrieben harte Sparpolitik, die in manchen Fällen völlig falsch und kontraproduktiv war. Begonnen hat es mit einer Fehleinschätzung der grundlegenden Problematik. Der Vorteil der USA war, mit Ben Shalom Bernanke einen echten Spezialisten für die Rezession der 30-iger Jahre an der Spitze der Zentralbank zu haben. Die EZB spielt erst seit Mario Draghi eine halbwegs konstruktive Rolle. Wenn vor allem der private Sektor, wie in Spanien oder Italien, verschuldet ist, dann können sie nicht im Zentrum einer Wirtschaftskrise den Staat auch noch zum Sparen zwingen!
Stellen wir uns den Staat als Bauernhof vor: Der Bauernhof hat einen privaten Sektor – den Bauer und seine Familie – und eine Regierung, das ist der Alt-Bauer, der nicht mehr arbeitet, sondern nur noch konsumiert. Einmal pro Woche findet ein Markt statt, auf dem der Bauer seine Ware verkaufen bzw. exportieren kann. Wenn nun der private Sektor so sehr verschuldet ist, dass er seinen Konsum drastisch einschränken muss, dann gibt es nur noch die Möglichkeit, dass der Alt-Bauer mehr konsumiert bzw. dass mehr exportiert wird, oder – sollte beides nicht möglich sein – dann muss die Wirtschaftsleistung des Bauernhofes schrumpfen. Entweder indem die Produktion zurückgeht, oder die Preise drastisch fallen. Das Ergebnis muss eine deflationäre Spirale sein.
Das haben inzwischen auch die Politiker in Europa gelernt, auf die harte Art und Weise. Sofern wir versuchen, mehr als etwa ein bzw. eineinhalb Prozent als Fiskalkonsolidierung durchzusetzen, strebt der Fiskalmultiplikator gegen eins und führt die Sparmaßnahmen dadurch ad absurdum. Das hat man zu wenig bedacht.
Die Reaktion war – und damit hat man auch bereits begonnen – nicht mehr auf die Primär-Bilanzdefizite per se abzustellen, sondern dass wir jetzt von strukturell adjustieren Primär-Bilanzdefiziten sprechen. Das heißt, die Einmal-Effekte der Krise werden isoliert. Und dann versuchen wir darzulegen, wie eine Primärbilanz in einem „normalen“ Umfeld aussieht. Das ist der richtige Weg, wie dieses Thema behandelt werden muss.
Der Internationale Währungsfond schätzt z. B., dass Südeuropa heute bereits einen zyklisch adjustierten Primärbilanzüberschuss von etwa 3 Prozent aufweist. So gesehen ist viel geschehen, was aber bleibt – und in diesem Zusammenhang können auch noch mehrere Unfälle passieren – die Einmal-Effekte der Krise müssen aufgeräumt werden. Im Zuge dessen kann auch ein einmaliger Fiskaltransfer von Deutschland nach Südeuropa Sinn machen. Und das hat auch die Regierung Merkel verstanden. Das hat man dem Wähler allerdings nicht kommuniziert. Davor, so glaube ich, hat man Angst …
… dabei handelt es sich um eine Abkehr vom ursprünglichen Kurs der Regierung Merkel.
Durchaus. Und dieser Kurswandel hat in Wahrheit bereits stattgefunden, als man die Wahl von Axel Weber zum Nachfolger von Jean-Claude Trichet verhindert hat und Mario Draghi die EZP übernommen hat.
Vielleicht wird der neue Kurs dem deutschen Wähler deutlicher kommuniziert, sobald die Bundestagswahl vorbei ist.
Das wäre unsere Erwartung.
Dipl.-Ing. Martin Friedrich zum Thema “Unsicherheit – Risiko oder Chance” (Hayek-Saal am 10. April 2013).
Hat nicht auch die Wahl von Françoise Hollande zum französischen Präsidenten den Kurs der Merkel-Regierung aufgeweicht? Seit seinem Amtsantritt ist der restriktive Sparkurs, den Merkel Europa verordnet nicht ohne Widerspruch geblieben. Frankreich möchte einfach mehr Geld in die Hand nehmen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Es ist sicherlich so, – das haben wir auch bei den Problemen des Europäischen Währungsmechanismus Anfang der 90-iger Jahre gesehen, dass Deutschland traditioneller Weise immer dann zum Einlenken bereit ist, wenn sein über Jahrhunderte geliebter Rivale in gröberen Schwierigkeiten steckt. Und wenn wir bedenken, dass sich die Krise in Frankreich gerade wieder weiter verschärft, dürfen wir erwarten, dass Deutschland auch auf anderen Ebenen einzulenken bereit ist.
Zurück bleibt aus europäischer Sicht der Eindruck, dass Merkel und Schäuble in Brüssel die Sparpläne der Krisenländer diktieren.
Das ist eine Wahrnehmung in Teilen Europas, auch wenn die wirtschaftspolitischen Entscheidungen sind nicht immer so gemeint sind. Dennoch: Deutschland hat in der Vergangenheit mit manchen Forderungen durchaus den Bogen überspannt.
Dabei sollte es Deutschland besser wissen, wenn wir uns an die Verhandlungen von Versailles zurückerinnern, an die Reparationszahlungen, die Deutschland auferlegt wurden und zum völligen wirtschaftlichen Ruin geführt haben. Ich wage es ja hier kaum auszusprechen: Aber kein anderer als John Maynard Keynes hat damals die amerikanische und die englische Regierung vor diesen drastischen Auflagen gewarnt und sich – ohne Erfolg – dagegen ausgesprochen. Als die Arbeitslosenzahlen in Deutschland anstiegen, nahmen auch die Stimmengewinne der NSDAP zu.
Mit einem harten wirtschaftlichen Sparkurs ist demnach immer ein sehr hohes politisches Risiko verbunden. Es besteht darin, dass Parteien an die Macht kommen, mit denen wir lieber nicht verhandeln (sollten). Das sind Risiken, die man gerne unterschätzt, mittlerweile aber besser verstanden werden. Und genau deshalb ist unsere Prognose für Europa am Ende durchaus positiv.
Auch für Deutschland ist es letztendlich eine Kosten-Nutzen–Rechnung. Wenn Deutschland den wirtschaftlichen Niedergang Südeuropas zulässt, gehen deutschen Unternehmen viele Exportmärkte verloren. Das ist nicht im Interesse Deutschlands, deswegen hat Deutschland auch ein gewisses Interesse zu zahlen, Südeuropa zu retten.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die dringend notwendigen Strukturreformen in Südeuropa tatsächlich durchgeführt werden. Italiens wird im „Ease of Doing Business Index“der OECD nur an 73. Stelle geführt erschreckend.
Das freie Unternehmertum kann oftmals gar nicht innovativ bzw. gewinnorientiert arbeiten, weil die italienischen Gerichte sehr ineffizient sind: Notwendige personelle Einsparungen oder auch Rechtsstreitigkeiten gehen sehr langatmige und mühsame Wege. Im Bericht des IWF zur Wettbewerbsfähigkeit liegt es in Kategorien wie „Effizienz des Rechtssystems“ und „Behinderung durch Überregulierung“ ganz hinten unter 144 Ländern – nahe an Serbien, Venezuela oder Zimbabwe.
Wird es parallel dazu notwendig sein, die Europäische Union auf stärkere politische Beine zu stellen, um eine ähnliche Krise künftig verhindern zu können?
Die notwendigen politischen Institutionen existieren bereits. Doch die Zusammenarbeit muss effizienter werden. Gleichzeitig müssen die krisenbezogenen Auswirkungen verarbeitet werden. Bei so einem komplexen System, kann immer wieder etwas schiefgehen. Schaffen wir es, dann ist die EU stärker als zuvor.
Vor allem wenn Sie über die Grenzen Europas hinausblicken: In den USA und in Japan wird derzeit nicht einmal versucht die strukturellen Probleme zu lösen. In diesem Punkt könnte Europa den beiden Wirtschaftsmächten schon bald einen wesentlichen Schritt voraus sein. Europa könnte von einem wirtschaftlichen Heilungsprozess profitieren, während man in Japan und in den USA noch nach Lösungen sucht. Die Welt könnte also in 5 bis 10 Jahren völlig anders aussehen.
Wo steht die Europäische Union in 10 Jahren?
Ich sehe ein 70 prozentige Chance, dass die Krise einen positiven Ausgang nimmt und, dass die Europäische Union gestärkt und mit einer höheren Wettbewerbsfähigkeit aus der Krise hervorgeht. Auch wenn das heute schwer vorstellbar ist.
Ich glaube, dass eine volle Fiskalunion unwahrscheinlich ist, weil der politische Wille dazu fehlt und es auch demokratisch nicht durchsetzbar ist; trotzdem benötigen wir dringend einen Bankenrettungsmechanismus. Wann er eingeführt werden soll – darüber wird gerade verhandelt. Als Vorbild gilt die amerikanische FDIC („Federal Deposit Insurance Cooperation“).
Wann geht es wirklich wieder bergauf in Europa?
Wir glauben, dass auf der Basis der Entwicklung von Aktienmärkten wie auch Geldmengen-aggregaten, die wir beobachten, in der zweiten Jahreshälfte mit einer leichten Konjunkturerholung zu rechnen sein wird, wenn es keine unerwarteten Zwischenfälle mehr gibt. Das ist durch historische Korrelationen gut belegbar.
Vielen Dank für das Gespräch
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