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Russisches Roulette

 von Raoul Sylvester Kirschbichler Nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten […]

Image by © Dreamstime

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 von Raoul Sylvester Kirschbichler

Nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch sieht Russland seine Interessen in der Ukraine gefährdet. Moskau hat mittlerweile 16.000 russische Soldaten auf der Halbinsel Krim stationiert. Es geht um Macht, politische Mitsprache und um wirtschaftliche Interessen. Wie weit wird Vladimir Putin gehen, um sein Einflussgebiet zu verteidigen?

Kurz bevor das Assoziations- und Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union unterzeichnet werden sollte, verschärfte der russische Präsident Vladimir Putin erneut den Druck, indem er Handelsbeschränkungen für die Ukraine erlässt. Putin ist bestens informiert über die katastrophale wirtschaftliche Lage der Ukraine. In diesem Moment dürfte auch klar gewesen sein, dass die Europäische Union den Widerstand Russlands gegen das geplante Assoziierungsabkommen unterschätzt hat.

So hat der Internationale Währungsfonds der Ukraine zwischen 15 und 18 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt, falls sich Kiev einem „inneren Reformprozess“ verschreibt. Details sollten noch ausverhandelt werden, doch die Skepsis des Internationalen Währungsfonds war von Anfang an unüberhörbar. Seit 2008 hat der IWF zwei Mal Kreditprogramme der Ukraine eingefroren, nachdem sich die damaligen Regierungen gegen die zuvor vereinbarten Auflagen gesträubt hatten. Auch dem russischen Präsidenten war die Skepsis des Internationalen Währungsfonds bekannt. Er stellte der Ukraine dieselbe Summe ohne Bedingungen in Aussicht – allerdings mit vierteljährlich neu auszuhandelnden Gaspreisen.

Als das Schicksal von Präsident Viktor Janukowitsch in Kiev besiegelt war, er die Hauptstadt fluchtartig verlassen musste und eine Übergangsregierung ernannt wurde, standen die Interessen des Kremls auf dem Spiel. Ob es der gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch war, der Putin um militärische Unterstützung gebeten hat oder nicht, bleibt nebensächlich. Präsident Putin will seine Interessen gewahrt und beschützt wissen.

Noch vor vier Jahren hatte Janukowitsch den russischen Marineeinheiten in Aussicht gestellt, den Vertrag über die Stationierung der russischen Flotte in der Hafenstadt Sewastopol auf der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim über das Jahr 2017 hinaus zu verlängern. Der ablaufende Pachtvertrag sollte um weitere 25 Jahre verlängert werden – im Gegenzug erhält die Ukraine billigeres russiches Gas.

Momentan muss die Ukraine etwa 260 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen. Russlands Rabatt von 30 Prozent ist also je nach Importmenge zwischen drei bis vier Milliarden Dollar wert. Nun droht der russiche Energiekonzern Gazprom damit, die Preisvergünstigungen einzufrieren, was den wirtschaftlichen Niedergang der Ukraine nur noch beschleunigen würde.

Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass die Hälfte aller Gasexporte von Russland nach Europa durch die Ukraine verlaufen. Nur einen Teil davon könnte Russland auch über die Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee exportieren, die nicht ausgelastet ist. Doch die Nord-Stream –Kapazitäten wären sehr schnell ausgeschöpft. So gesehen wird auch Gazprom nicht lange ohne der Ukraine auskommen.

Kurzfristig auf andere Abnehmer umzusteigen, ist für Russland sehr schwierig. Auch die Europäische Union kann ihre Versorgung nicht so schnell neu strukturieren. Gleichzeitig ist auch die Eigenproduktion von Öl und Gas innerhalb der EU in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen.

Selbst wenn es in der Ukraine noch unzählige unerschlossene Gasvorkommen gibt, bis zum heutigen Tag kann sich die Ukraine nur zu einem Drittel selbst mit Gas versorgen. Die Gasrechnung der Ukraine wird sich langfristig nur reduzieren lassen, wenn auch genug Geld vorhanden ist, um in die Infrastruktur – Industriebetriebe und Kraftwerke, Heizungen und Gebäudeisolierung – zu modernisieren. Noch höher ist die Importabhängigkeit bei Öl.

Als klar war, dass Viktor Janukowitsch, Putins politischer Handlanger, in der Ukraine gar nichts mehr zu entscheiden hat und per Hubschrauber die Hauptstadt Kiev verlassen musste, sprach sich in Moskau zunächst die Staatsduma für ein Eingreifen der Truppen aus. In weiterer Folge dann auch die zweite Kammer des Parlaments – der sogenannte Föderationsrat. Alles wirkte sehr formal, so als würde Putin nur dem Drängen seiner Abgeordneten folgen. Doch genau genommen hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin zu einer Militärintervention auf ukrainischem Boden ermächtigen lassen. Russlands Senatoren haben dem Präsidenten Putin einstimmig einen Blanko-Scheck für einen Militäreinsatz von unbegrenzter Dauer ausgestellt. Die Operation soll erst bei einer “Normalisierung der gesellschaftlich-politischen Lage” in der Ukraine abgeschlossen sein.

Was immer das genau bedeuten soll, lässt sich nur erahnen. Russlands Kulturminister Wladimir Medinsky twitterte nach der Abstimmung euphorisch, die nächsten Tage würden endlich zeigen “für wen Russland das Vaterland ist”. Das politische Moskau, wahrscheinlich sogar die Mehrheit der Russen, sie alle sind überzeugt, dass auf dem Maidan in Zentrum von Kiew nicht nationalistische Revolutionäre gesiegt haben, sondern „Faschisten“. Russland hat die Entsendung seiner Soldaten auf die Halbinsel Krim mit einem Hilfegesuch des gestürzten ukrainischen Präsidenten begründet. Unter den NATO-Mitgliedern fühlt sich in erster Linie Polen von der russischen Vorgangsweise bedroht. Unter Berufung auf Artikel 4* des NATO-Vertrages verlangte Polen ein Treffen des NATO-Rates.

Auf de Weltbühne der internationalen Diplomatie stellt sich seither die Frage, wie weit Vladimir Putin gehen wird, um die Ukraine politisch und wirtschaftlich weiterhin an Russland zu binden. Hardliner in Moskau wünschen sich einen Truppenvorstoß bis Donezk und Charkow, wo bereits russische Fahnen gehisst wurden.

Das Schicksal der Krim scheint hingegen schon heute besiegelt. Daran werden auch Sanktionen nichts mehr ändern, sofern sich die Europäische Union und die USA doch irgendwann darauf einigen sollten. Moskau wird die ukrainische Halbinsel verwalten wie ein inoffizielles Protektorat bei formaler Erhaltung der ukrainischen Jurisdiktion. Eine vollständige Abtrennung vom ukrainischen Festland ist – so gesehen – gar nicht notwendig.

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*Artikel 4 des NATO-Vetrages besagt, dass ein Mitglied des Militärbündnisses eine Sitzung beantragen kann, wenn es seine territoriale Unversehrtheit, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit bedroht sieht.

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